21 Juni 2006

in westen nichts neues 2

Ich mag diese älteren, etwas fülligen Herren auf Fahrrädern. Die Räder sind meistens etwa 5-7 Jahre jünger als ihre Besitzer, sehr gepflegt und hinter zumeist mit kleinen Satteltaschen bestückt. Die Radfahrer tragen karierte Hemden, dann sogenannte Trekking-Hosen, gern auch von Tchibo, ersatzweise auch von C&A, und immer eine olivgrüne Weste. Die Weste ist auch von Tchibo und inzwischen ein nicht mehr wegzudenkendes Kleidungsstück von Männern jenseits der fünfzig. Früher wollte ich auch immer so eine Weste haben, Josef Beuys hatte so ein Ding. Angler auch. Mir kamen immer die Kameraleute vom Fernsehen in den Sinn, wenn ich bei C&A vor so einer Weste stand. Sie hat unendlich viel Stauraum. Platz für alles, was Mann so mitnehmen muss, wenn er am Sonntagnachmittag mit seiner Frau zum Kaffeetrinken radelt. Immer wieder habe ich die Entscheidung über den Kauf eines solchen Kleidungsstückes verworfen. Trotzdem stehe ich immer fasziniert vor den Ständern mit diesen praktischen Dingern und denke: sollte ich nicht doch....? Nein, ich bleibe standhaft. Neulich habe ich einen mit so einer Weste und einem Hut, aber ohne Fahrrad gesehen. Ein Künstler, was das Umfeld, in dem ich ihn wahrnahm, nahe legte. In diesem Moment wusste ich, warum ich niemals so eine Weste anziehe werde. Trotzdem, heute nachmittag bin ich wieder in der Stadt. Vielleicht....

18 Juni 2006

ziele

1973
warte bis es taut

deine ziele liegen auf eis
eingefrorene ideale
zwischen allerlei anderem
nutzlosen plunder
das mindest
haltbarkeits
datum
abgelaufen wie die absätze
der
schuhe, die sowieso

viel zu gross waren

17 Juni 2006

deutschland deutschland....



Einen schönen Satz habe ich auf Spiegel-Online gefunden:

"Auch die linke GEW tobt weiter im Laufställchen ihres anachronistischen Geschichtsbewusstseins herum. Als hätten wir es gestern schon geahnt: Die Broschüre, mit der die tapferen Lehrer ihre fehlgeleiteten Schüler über das "furchtbare Loblied auf die deutsche Nation" aufklären wollen, ist 16 Jahre alt. Sie stammt also aus der Zeit, als fortschrittlich gesinnte Menschen durch die Straßen liefen und riefen: "Nie wieder Deutschland!"

Trotzdem, Auftrieb bekommen die, die immer schon einen "unverkrampften" Umgang mit der Nation fordern und damit den vielzitierten "Schlussstrich" meinen. Lassen wir doch erst mal den Ball im Tor und die Kirche im Dorf. Wenn Deutschland Weltmeister wird, kann man immer noch sehen, wenn nicht, wird der ganze Spuk sowieso wieder verschwinden. Übrig bleibt dann vielleicht der Kater und die Alkohol-Fahne.

13 Juni 2006

fußball? ach ja...

Nein, hassen muss ich Fußball nicht, aber die Überhöhung dieses Spiels, das eigentlich in der jetzigen Ausprägung nur noch ein Riesengeschäft ist und durch Intrigen, Machthunger, Geltungssucht und Geldgeilheit dominiert wird, finde ich schon reichlich daneben. Lasst doch den Ball da wo er ist, auf einem Spielfeld, das den Namen wohl nur noch in der 8.Kreisklasse verdient. Ab da nämlich, so will es scheinen, ist das Spielfeld ein riesiges Börsenspiel, ein Monopoly, in dem der gewinnt, der den Anderen mit Hilfe seiner Hotels (sprich: Spieler) am besten über den Tisch zieht. Und genauso, wie die Leutchen voller Begeisterung schon beim ersten Ton klatschen, wenn in der Hitparade der Volksmusik irgend ein bekanntes Lied aus dem Lautsprecher bollert, kommt mir die Fröhlichkeit vor, die ich im Fernsehen zur Zeit erleben darf. Nun kann ich ja durchaus verstehen, dass es auch manchmal wehtut, wenn manche Journalisten und Kritiker noch schreiben, an Waldorfschulen wäre der Fußball oder das Fußballspiel verboten, aber stören tut mich das schon lange nicht mehr. Denn die Realität sieht anders aus, und das wissen inzwischen auch alle. Und das finde ich sogar sehr gut. Nur damit nicht der Eindruck aufkommt, die "zwischendenzeilen" hätten etwas gegen Fußball. Aber auf den fahnengeschmückten Fußballzug aufzuspringen und damit Weltoffenheit und Toleranz zu demonstrieren, ist bei Anerkennung der Tatsache, dass dieser Zug immer im Kreis herumfährt, sicher ist nicht notwendig und ich glaube, die Info3 hat mehr zu sagen als diesen Blödsinn. Ich wundere mich allerdings, dass ich noch nichts über Monopoly als die vollendetete Schöpfung gelesen habe. Aber vielleicht werden "wir" ja Weltmeister.

06 Juni 2006

iadm

Zur Zeit findet man im Internet hin und wieder das Stichwort IADM (Internationale Assoziation Deutschsprachiger Medien). Zumeist unter dem Hinweis auf nachrichten und - geheimdienstliche Aktivitäten. Die Verquickung der IADM mit dem BND sind dokumentiert im Buch von Erich Schmidt-Eenboom (Undercover. Der BND und die deutschen Journalisten. Köln 1998).
Die IADM (Internationale Assoziation Deutschsprachiger Medien), wurde nach Ansicht verschiedener Beobachter vor Jahrzehnten als Tarnorganisation des Bundesnachrichtendienstes gegründet. Die Gründer waren seinerzeit an verantwortlicher Stellen bei der Deutschen Welle tätig. Bereits zu Beginn der neunziger Jahre allerdings war dieser Verein zur Bedeutungslosigkeit verkommen, repräsentiert durch eine Alte-Herren-Riege, die sich durch den Verlust ihrer Medien-Bedeutung noch ein bißchen Reputation verschaffen wollten. Nach Auffassung von Insidern stellte sich heraus, daß es mehr die persönlichen Vorteile und die oben beschriebene Geltungssucht war, die die Aktivitäten dieser Organisation beherrschten. Den offiziellen staatlichen Stellen schien dieser Verein eher suspekt und peinlich zu sein. Immer mal wieder unternommene Versuche seitens des Präsidiums, den Verein stärker durch den Bund fördern zu lassen, scheiterten regelmäßig. Von einer staatlichen Förderung für technische Ausrüstung, wie „investigative“ Kollegen schreiben, konnte jedenfalls keine Rede sein.
Es gab damals Mitglieder, die die Idee eines Netzwerkes zur Förderung von Begegnungen mit anderen Menschen interessant fanden und die an Möglichkeit eines ernsthaften Austausches mit ausländischen Medien unter einem kulturellen und nicht primär unter einem wirtschaftlichen Gesichtspunkt glaubten. Diese Ansicht war allerdings naiv und ganz sicher haben sich einige der Mitglieder durch die vermeintliche Bedeutung dieses Vereins blenden lassen. Die Mitgliederliste las sich dementsprechend, sogar Dieter Thomas Heck ist Mitglied dieses Vereins (gewesen?). Ein sehr bekannter Kölner Journalist trat allerdings vor einigen Jahren aus, nicht zuletzt durch das Bekanntwerden der Verbindungen zum BND in den Anfangsjahren des Vereins und wegen des Umgangs mit diesem Thema in den neunziger Jahren. Wie Schmidt-Eenbohm in seinem Buch schreibt, arbeitete die IADM ab Mitte der achtziger Jahre ja auch "satzungsgemäß".
Kontakte zu ausländischen Medien wurden damals durch den sogenannten IMD (Internationaler-Medien-Dienst) geknüpft, gepflegt und aufrechterhalten, bestand aber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, überwiegend aus dem Zusammenmix von Pressemitteilungen potentieller Sponsoren, die allerdings in den meisten Fällen noch nicht mal welche waren. Journalistisch gesehen war diese Publikation eher eine Katastrophe, was auf den Sitzungen des Vorstandes auch in den regelmäßigen Auseinandersetzungen der einzelnen Autoren deutlich wurde. Journalistische Kompetenz war jedenfalls nicht die herausragende Eigenschaft der meisten Autoren. Die Kontakte zu ausländischen Radiostationen waren eher sporadisch bis auf den Wochenbericht, der jeweils Samstag telefonisch zu SBS-Radio in Melbourne abgesetzt wurde. Daneben gab es eher lose Kontakte zum Deutschen Programm in Windhoek, Namibia, sowie zu einigen amerikanischen Deutschprogrammen, die allerdings thematisch eher nicht in die Kategorie "Geheimdienstaktivitäten", sondern in die Kategorie "Gemutlichkeit" einzuordnen waren. Die Verbindungen zu dem VDA, der damals noch "Verein für das Deutschtum im Ausland hieß, waren ebenfalls nur sporadisch und ohne nennenswerte Bedeutung für die Arbeit des Vereins.
Die Mitglieder der IADM, falls es diese Organisation als Verein noch gibt, dürften inzwischen weitgehend den Status von Altenheimbewohnern erreicht haben.
Mitte der neunziger Jahre trat eine "Konkurrenz-Organisation" auf den Plan, die Internationale Medienhilfe (IMH). Diese bestand zu jener Zeit, und vermutlich auch heute noch, aus einem gewissen Herrn A., der damals versuchte, den Eindruck einer Riesenorganisation zu vermitteln, was aber angesichts einer Postfachadresse in Hennef, seinem Wohnort, nicht so ganz glaubwürdig erschien. Von der IADM wurden seine Aktivitäten zu Beginn argwöhnisch zur Kenntnis genommen, und anläßlich einer "Welt-Tagung" der IADM wurde er gar des Saales verwiesen, weil er sich uneingeladen dort befand. Herr A. erweckte den Eindruck eines gewieften Geschäftsmannes, dem die Anliegen, die andere zu jener Zeit umtrieben, nämlich die kulturellen Aspekte eines Medien-Netzwerkes , nicht so wichtig erschienen und der seine Aktivitäten eher auf wirtschaftlichem Gebiet angesiedelt sah.
Inzwischen bezeichnet sich die Internationale Medienhilfe, bzw. der "Weltverband deutschprachiger Journalisten", ungeniert als die Nachfolge-Organisation der IADM, was aber nach unseren Informationen nicht sein kann. Eher wird vermutet, dass die IMH eine Postfachfirma ist, die hauptsächlich mit den Adressen der deutschsprachigen Medien im Ausland ihre Geschäfte macht, jungen Menschen Praktikumsplätze in Aussicht stellt und sich natürlich für kostenpflichtige Infos bezahlen läßt. Daneben führt sie "Welt-Kongresse" durch, die eine Menge heiße Luft verbreitet, aber ansonsten keine und schon gar keine journalistische Bedeutung hat. Über Geheimdienst-Aktivitäten lässt sich nichts sagen, Beobachter vermuten, dass die Kontakte mit Bundeswehrorganisationen sicherlich nicht aus der Luft gegriffen sind, die ersten "Medienkongresse" wurden ja auch in Strausberg abgehalten. Inzwischen gibt es auch das MUSIK-EXPORTBÜRO und den WDJ (Weltverband deutschsprachiger Journalisten). Alle diese Organisationen sind ausschließlich unter der o.g. Postfachadresse zu erreichen. Die Internetseite des WDJ spricht allerdings nicht unbedingt für die aktuelle Bedeutung dieses Verbandes. Die aktuellste Eintrag unter Meldungen stammt aus dem Jahr 2000 und ist ein offener Brief an den damaligen Kanzler Gerhard Schröder. Gute Nacht.
Herr A. ist inzwischen auch im Vorstand des "Vereins Deutsche Sprache VDS", wo er seriös und staatstragend von der Internetseite des Vereins herunterlächelt. Wenn man sich allerdings vorstellt, was man mit den Adressen dieses Vereins......
Seitens der IMH ist immer wieder versucht worden, durch den Zusammenschluss mit der IADM den Status einer gemeinnützigen Organisation zu erhalten. Dieses ist allerdings offensichtlich nicht gelungen.
Das Musikexportbüro, eine Abteilung der IMH, erhebt den Anspruch, führende Organisation auf diesem Gebiet zu sein, der Chansonnier und Barde Reinhard Mey ist der Schirmherr des Büros, zu vermuten ist, dass ihn die Aktivitäten des Vereins nicht weiter interessieren, es ist ja auch nichts gegen die deutsche Sprache einzuwenden und der Weltverband der deutschsprachigen Journalisten, na ja. Außer einer Postfach-Adresse und einer Telefonnummer gibt es jedenfalls auf keiner der vielen Internet-Adressen mit dem Bezug auf die o.g. Vereine und Weltverbände weitere Adressen, die auf eine größere Organisation schließen lassen.
Insgesamt scheint die Bedeutung der Informationen über den Verein IADM sowie die IMH wesentlich zu hoch gehängt zu sein. Die investigativen Recherchen in diese Richtung rufen bei Kennern der Materie eher ein Schmunzeln hervor, wenn darüber gelesen wird. Und den Kollegen von "german-foreign-policy" möchte man zurufen: Haben wir eigentlich nichts Besseres zu tun?

gute idee

Das ist eine gute Idee, dem Iran Boeing-Teile mitzubringen. Besser wäre es vielleicht, dem Ahrimansched oder wie der heißt, das Zeug mitzugeben, wenn er nach Deutschland kommt, um seine Mannschaft anzufeuern. Dann könnten wir ihm doch auch noch einen alten VW-Bus mitgeben und ich hab noch ein paar Schilder aus der Reichsbahn: aus dem Fenster spucken verboten oder so ähnlich. Ich meine, bei uns spuckt doch sowieso keiner mehr aus dem Fenster, ist ja alles klimatisiert, da kann man die Fenster doch gar nicht mehr öffnen. Aber mal im Ernst, August: Warum soll der eigentlich nicht nach Deutschland einreisen dürfen. Der Ölpreis würde doch sofort fallen, wenn der Mann hier einen Staatsbesuch machen würde. Ja, ist das denn nichts? Es würde ihn doch sowieso keiner erkennen, wenn der mit einem VW-Bus von Stadion zu Stadion führe. Die Welt zu Gast bei Freunden. Wir sind doch alle im Fussballfieber, da muss man doch auch gönnen können. Und Sport verbindet. Muss der die Eintrittskarten bezahlen oder kriegt der die umsonst? Ich schlage vor wir lassen den Iran gewinnen, dann ist er nicht so frustriert und gibt sich wirklich mit den Reichsbahnschildern zufrieden. Das wäre auch was: Iran wird Weltmeister. Dann würde der uns das Öl vielleicht sogar schenken. Also ich finde, das ist eine gute Idee. Die Weltgemeinschaft verleiht Flügel. Ach ne, wir wollten ihm die Boeing-Teile doch schenken.

05 Juni 2006

reine nervensache

Nein, es ist nicht die Bloggerszene, die mir derzeit etwas auf den Geist geht, es ist der penetrante Werbemüll, den ich neben den manchmal recht amüsanten und wirklich unterhaltsamen Beiträgen ertragen muss. Muss ich wirklich auf "gottsagtdirwoslanggeht" oder auf "rudolfsteinerunddieleichtigkeitdeswesensanthroposophia" oder auf "deutschlernenmitwasweißichwem" klicken? Ich tus ja nicht. Und trotzdem stört es mich. Ich werde also in Zukunft werbefinanzierte Blogs meiden. Mann, bin ich empfindlich. Aber irgendwo hat der Mensch ja auch seinen Stolz. Und warum zum Teufel habe ich an meinem Briefkasten ein Schild: Bitte keine Werbung? Genau. Bevor mir jetzt einer unterstellt, ich hätte etwas gegen Werbung, Irrtum, da liegt er völlig falsch. Aber Werbung soll auch Spass machen. Eben, vielleicht ist sie mir einfach nicht witzig genug.

zustandsbeschreibung

nervenbahnhöfe sind überfüllt. zusammenbrüche
sind nicht auszuschließen.

von den nervenbahnen wird ein stau gemeldet
der versuch, eingefahrene bahnen zu verlassen
wird durch ein von der polizei ausgespochenes
halteverbot auf nervenbahnen unterbunden.

der patient war durch die maschen der neuronalen
netze gefallen, und hart auf dem boden der tatsachen
zum stillstand gekommen. dann verlor er die nerven,
lag allein auf der nervenbahn und begann zu zittern.
dieses rief die polizei auf den plan, die das halteverbot
durch ein liegeverbot erweiterte und sofort mehrere
bußgeldbescheide ausstellte, die unverzüglich zum
kollaps auf den nervenbahnen führte. sehnerven, die
noch klaren durchblick hatten, wurden abgeführt und
in dunkelhaftpflicht genommen. dort verweilen sie bis
zum zerreissen gespannt, bis zur auflösung der
anspannung.

der richter, auf dessen nerven die angeklagten gegangen
war, forderte schadenersatz für den eingetretenen
gehirnschaden. ihm waren die nerven durchgegangen und
dieses konnte er auf grund der geltenden gesetzeslage
nicht durchgehen lassen.
die nerven wurden verurteilt und durften sich behalten.

03 Juni 2006

grundeinkommen

Das ein bedingungsloses Grundeinkommen eine wunderbare Sache wäre, ist jedem halbwegs intelligenten Menschen sofort einleuchtend. Dass die Disskussion über das bedingungslose Grundeinkommen (im folgenden BGE genannt) auf einem relativ hohen Niveau geführt wird, liegt auch ein bisschen an der prominenten Unterstützung durch Götz Werner und durch die damit verbundene Medienpräsenz.
Durch die derzeitige Debatte um Hartz IV und die damit verbundenen neuen Finanzierungsschwierigkeiten könnte dieses Thema nochmals an Gewicht und Schärfe zunehmen. Das "wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" Prinzip, von Volker Kauder in der letzten Zeit wieder postulierte Credo der Regierungspartei CDU, wird auf Dauer nicht mehr durchzuhalten sein. Kürzungen und Restriktionen bei der Vergabe von Hartz IV Geldern mögen zwar die Kassen entlasten, aber ob sie die Herzen der Bürgerinnen erreichen, darf als fraglich bezeichnet werden. Wann wird die Idee dieses BGE Einzug in die Politik halten? Das ist angesichts der weiterhin angespannten Lage des "Arbeitsmarktes" eine berechtigte Frage.
Wenn es dem Bürger zu bunt wird, geht er demonstrieren? Wann hat eigentlich zum letzten mal so eine richtige Demonstration stattgefunden? Für mich gibt es nur drei deutliche Beispiele, bei denen durch den Willen und die Kraft dieses Willens spürbare Veränderungen stattgefunden haben. Die "Revolution" der 68er, die Atomkraft- und Raketenstationierungsdiskussion Mitte der 80er und der Fall der Mauer 1989. In allen drei Fällen war die Politik gezwungen, Farbe zu bekennen. Das bewirkte mit den unterschiedlichsten Auswirkungen Veränderungen, in deren Folge eine Demokratisierung der Hochschulen, eine Sensiblisierung der Umweltfragen und damit die Entwicklung neuartiger Energiekonzepte sowie die Auflösung der Machtblöcke Ost und West einherging. Andere Willensbekundungen von Betroffenen sind in den meisten Fällen mehr einem privaten (in den meisten Fällen auch berechtigten) Bedürfnis nach mehr Geld, mehr Freizeit, mehr Gerechtigkeit für bestimmte Berufsgruppen usw. entwachsen. Damit meine ich, dass der Software-Ingenieur nicht neben der Krankenschwester auf dem Marktplatz steht, sondern dass sich jeder in seinem Umfeld um seine Interessen kümmert.

Seit 1990, der Zeit der Globalisierung, der Öffnung der Weltmärkte (für einige wenige!) und der Zeit der Digitalisierung ganzer Lebens und Arbeitsbereiche, findet ein Wandel statt, dessen Auswirkungen noch nicht zu übersehen sind. Dem Gesetz der Serie zufolge müsste demnächst wieder etwas geschehen, dass radikale und spürbare Auswirkungen auf die Gesellschaft haben wird. Sozusagen als vorläufiger Endpunkt und damit als Beginn einer neuen Entwicklung.
Das Grundeinkommen mag auf den ersten Blick dafür nicht der Auslöser sein, die damit gekoppelte Frage der Sinnhaftigkeit von Arbeit jedoch sehr wohl. An allen Ecken und Enden ist Veränderung zu spüren. Glaubt denn irgend jemand noch ernsthaft, dass eine Spass- und Eventkultur, wie sie uns immer noch von RTL und Co jeden Abend um die Ohren gehauen wird, auf Dauer Bestand haben wird?
Die offensichtliche Suche der Menschen nach einer neuen Spiritualität und eines neuen sozialen Umgangs miteinander sprechen eine deutlich andere Sprache. Hörbücher mit einem seriöseren Anspruch haben Hochkonjunktur (einmal abgesehen von Bohlen und Konsorten), Fernsehsender wie Arte, 3Sat und Phönix haben ernstzunehmende Einschaltquoten. Sind es auch oft nur pseudo-intellektuelle Sprechblasen, die von einzelnen Protagonisten einer neuen Zeit in die Luft gepustet werden, ganz von der Hand zu weisen ist diese Gedanke sicherlich nicht.
Wir leben ohne Zweifel in einer Zeit, die größtmögliche Freiheit möglich macht, die eine freie Entfaltung der Individualität auf ihre Fahne geschrieben hat, zumindest theoretisch, und die in genau diesen Möglichkeiten auch die Chance eines Umdenkens nutzen könnte. Anzeichen dafür sind als Keime, als zarte Pflänzchen wahrnehmbar, sie müssen gehegt und gepflegt und gegossen werden. Nur ersäufen sollte man sie vor lauter Eifer nicht. Die Größe der Gießkanne ist also nicht das Entscheidenende, sondern die Dosierung.